Ansichten
zu Politik und Recht

Eugen David

Ringen um Putins Beifall

Das Ringen von FDP-BR Cassis um Anerkennung seiner politischen Aktivitäten durch den russischen Despoten Putin war vor, während und nach der Bürgenstock-Konferenz vom 15./16. Juni 2024 bemerkenswert.

Putins Krieg im schweizer Aussenministerium (EDA)

Putin hat die Ukraine angegriffen und Teile des Landes okkupiert. Er führt seit zwei Jahren einen blutigen Vernichtungskrieg mit Raketen und Bomben gegen die ukrainische Zivilbevölkerung und die zivile Infrastruktur des Landes.

Hunderttausende haben in seinem Krieg bereits ihr Leben gelassen.

In Russland unterbindet er mit Polizei, Gefängnissen, Geheimdiensten, Staatspropaganda und Militär jede Opposition.

Seinen wichtigsten politischen Gegner, Nawalny, steckt er ins Gefängnis und lässt ihn dort sterben.

Der Bundesrat lehnt es ab, der Ukraine zur Selbstverteidigung Munition aus schweizer Produktion zu überlassen. Drittländern verbietet er, in der Schweiz gekaufte Munition an die Ukraine zu liefern.

Dabei beruft er sich auf die Neutralitäts-Ideologie des schweizer Aussenministeriums (EDA).

Das EDA stellt die Selbstverteidigung der Ukraine „neutralitätsrechtlich“ auf dieselbe Eben wie den Angriff Putins. Laut EDA darf die Schweiz – eben als Sonderfall - die Ukraine nicht unterstützen, wie sie von den übrigen Europäer unterstützt wird.

Die Schweiz darf „neutralitätsrechtlich“ laut EDA Saudi-Arabien für dessen Angriffe auf die Bevölkerung im Jemen Waffen liefern, weil das kein Krieg ist. Waffenlieferungen an die Ukraine sind ausgeschlossen, weil der russische Angriff laut EDA ein Krieg ist. Dabei hat Putin den Russen unter Strafandrohung verboten, seinen Angriff als Krieg zu bezeichnen.

Mit seiner Ideologie schwächt das EDA willentlich die Selbstverteidigung der Ukraine und hilft gleichzeitig dem russischen Diktator.

Die Selbstverteidigung der Ukraine zur Wahrung seiner völkerrechtlich verbindlichen Integrität wird von der UN-Charta und der grossen Mehrheit der UN-Mitglieder als gerechtfertigt anerkannt. Für das EDA ist das irrelevant.

Das EDA und die Regierung orientieren sich nicht an der UN-Charta.

FDP-BR Cassis beruft sich stattdessen auf ein mehr als hundert Jahre altes, aus der Zeit gefallenes Abkommen über Neutralitätsdefinitionen, um der Ukraine die Lieferung von Material zur Selbstverteidigung verweigern zu können.

Im EDA herrscht eine Tradition, wonach die schweizer Diplomatie in der Weltpolitik eine exklusive, von der westlichen Diplomatie abweichende Sonderrolle wahrnehmen müsse, um isoliert ausserhalb der EU überhaupt wahrgenommen zu werden.

Die aktuell erschienen Selbstbiografien von Diplomaten (Jean-Daniel Ruch, Georges Martin) werfen ein Licht auf diese Vorstellungen.

Fatal sind die Konsequenzen, die aus dem diplomatischen Bedürfnis, eine weltpolitische Sonderrolle zu spielen, gezogen werden:

  • Zum freiheitlichen Westen, seien es die EU oder die Vereinigten Staaten, wird verbal betont Distanz gehalten. Man will nicht "mit den Wölfen heulen".
  • Auf jede Distanz zu Diktatoren und Gewaltherrschern in Russland, China, Iran, Weissrussland, Saudi Arabien etc. wird bewusst verzichtet.
  • Ein komplex ausgearbeitete, juristisch eingekleidete Neutralitätsideologie gilt als unersetzliches aussenpolitisches Requisit der angestrebten weltpolitischen Rolle.
  • Sog. „Gute Dienste“, d.h. konsularische Dienstleistungen für autoritäre Regimes wie Iran oder Russland, betrachtet das EDA als wichtigen Teil seiner Existenzberechtigung. Aktuelle und potentielle Kunden will man pfleglich behandeln.
  • Demokratische Institutionen, individuelle Grundrechte, Rechtsstaat, territoriale Integrität, d.h. die nach vielen Kriegen erreichten europäischen Grundwerte, sind im Verhältnis des EDA zu autoritären Machthabern ohne Relevanz.

FDP-BR Cassis ist mit der rechtsnationalen SVP der Ansicht, die „neutrale“ Schweiz müsse dem russischen Aggressor, noch während er die Ukraine angreift, aus der internationalen Isolation helfen und ihn zu Verhandlungen über seine Okkupationen in die Schweiz einladen.

Aus welchen Gründen sollte Putin in die Schweiz kommen?

Treibende Motive waren möglicherweise die EDA-Tradition, eine anti-europäische und anti-amerikanische Grundeinstellung und Einflüsse rechtsnationaler Putin-Freunde.

Freiheitliche, rechtsstaatliche, demokratische Werte des Westens und individuelle Grundrechte in den russischen und der chinesischen Diktaturen waren jedenfalls irrelevant.

Der Einfluss der einheimischen Rechtsnationalen im EDA ist nicht zu unterschätzen.

Aus der SVP kam die Forderung, den Sonderstatus für ukrainische Flüchtlinge abzuschaffen.

Im November 23 hat die SVP den rechtsnationalen EU-Gegner Victor Orban aus Ungarn, Freund der Diktatoren Xi-Jinping und Putin, in Zürich gefeiert. Unter den Bewunderern vor Ort waren aSVP-BR Blocher, aSVP-BR Maurer und Weltwoche-Redaktor aSVP-NR Köppel SVP.

Am 15. August 2023 verliessen die Abgeordneten der rechtsnationalen SVP-Fraktion das schweizer Parlament, weil der ukrainische Präsident dort eine Rede hielt. Sie verhielten sich gleich wie die AfD-Anhänger im deutschen Parlament.

Ein Zurückweisen der rechtsnationalen aussenpolitischen Aktivitäten der SVP durch das EDA wird es nicht geben.

Doch keine Einladung an Putin

Die Einladung von FDP-BR Cassis an Putin zur Bürgenstock-Konferenz ist dann doch unterblieben.

Weshalb?

Nur der Not gehorchend. Der Bundesrat hätte auf eine Beteiligung der Ukraine und des Westens an der von ihm organisierten Bürgenstock-Konferenz verzichten müssen.

Das war dann doch nicht erwünscht, obwohl die Diktatoren aus China, Weissrussland, Iran und Nordkorea möglicherweise die Lücke gefüllt hätten.

Die aussenpolitischen Aktivitäten des EDA mit Putin sind eine Legitimierung seines Angriffskriegs und richten sich gegen den freien Westen.

Nichtsdestotrotz möchte FDP-BR Cassis seine Rolle für Russland weiter spielen.

Er teilt mit, ohne Russland könnten die Ergebnisse der Konferenz nicht realisiert werden. Das wird von den russischen Staatsmedien aufmerksam vermerkt und propagandistisch ausgeschlachtet.

Nach der Konferenz schickte er den Leiter der EDA-Abteilung internationale Sicherheit, ein ehemaliger SVP-Generalsekretär, nach China, um mit dem dortigen Regime über die Ukraine zu verhandeln.

Eifrig sucht das EDA den Kontakt mit den Dikatoren in Russland, China, Iran und Saudi Arabien. Schweizer Medien verbreiten dazu die EDA-Ansicht, die Schweiz habe eine weltpolitische Rolle als Friedensförderer.

Jetzt Saudi Arabien

Im Gespräch mit dem saudischen Aussenminister, Faisal bin Farhan, macht FDP-BR Cassis nach der Konferenz laut dem saudischen Aussenministerium telefonisch «gemeinsame Interessen» geltend.

Der saudische Aussenminister weigert sich, die Abschlusserklärung der Konferenz zu unterzeichnen.

Saudi Arabien lehnt die Feststellung von 78 teilnehmenden Ländern ab, wonach Russland für den anhaltenden Krieg gegen die Ukraine verantwortlich ist und damit umfassendes menschliches Leid und Zerstörung verursacht.

Von einer Anerkennung der territorialen Integrität der Ukraine halten die Saudis nichts.

Saudi Arabien hat gemeinsame Interessen mit Putin. Beide wollen zulasten des Westens den Oelpreis hoch halten, mitunter zur Finanzierung des Ukrainekriegs.

Würde Saudi Arabien nicht am Spiel Putins teilnehmen, wäre sein Angriffskrieg wirtschaftlich am Ende.

In Saudi Arabien herrscht ein rigoroser und aggressiver Islamismus, der keinen Widerspruch duldet. Gegner des totalitären Regimes werden hingerichtet.

Wo sieht FDP-BR Cassis "gemeinsame Interessen" der Schweiz mit Saudi Arabien?

Putin and Lawrow are not mused

FDP-BR Cassis hatte in den letzten Jahren mit Putins Gehilfen Lawrow mehr Kontakte als mit jedem andern Aussenminister.

Lawrow und Putin wollen indessen trotz Bemühungen aus dem EDA derzeit von seiner Profilierung im Ukrainekrieg nichts wissen.

Am 22.02.22, unmittelbar vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine, hatte FDP-BR Cassis eine Beteiligung an den EU-Sanktionen gegen Russland abgelehnt, was Moskau sicher wohlwollend wahrgenommen hat.

Er folgte damit den Forderungen der rechtsnationalen SVP.

Stattdessen propagierte seine damalige Staatssekretärin Leu „Umgehungsverhinderungsmassnahmen“.

Das vom EDA in die Welt gesetzte juristische Konstrukt der "Umgehungsverhinderungsmassnahmen" gehört zum Muster der „neutralitätsrechtlichen“ Klimmzüge, die schon bei der russischen Annexion der Krim und des Donbass 2014 ins Feld geführt wurden, um die Beteiligung an westlichen Sanktionen zu vermeiden und die westliche Solidarität zu unterlaufen.

Am Tage des Überfalls, am 24.02.22, bekräftigte FDP-BR Cassis die Ablehnung von Sanktionen gegen Russland. Das stimmte mit den Interessen des Finanzplatzes und der hier angedockten russischen Oligarchen überein.

Vier Tage später, am 28.02.22, machte er, nach in- und ausländischem Druck, eine 180°-Kehrtwende: die Schweiz übernahm die EU-Sanktionen vom 23. und 25. Februar 20222.

In der Folge machten Putin und Lawrow dem EDA deutlich: we are not amused.

Werben um Putin

Seither zeigen sie FDP-BR Cassis die kalte Schulter und setzen die Schweiz auf ihre Liste "unfreundlicher Länder", was eigentlich eine Auszeichnung wäre.

Mit dienstfertigen Gesten in Richtung Moskau möchte FDP-BR Cassis das ändern und zu den früheren freundschaftlichen Treffen mit Lawrow zurückkehren.

Ein russischer Diplomat aus der Berner Botschaft versuchte im Vorfeld der Bürgenstock-Konferenz, Waffen und gefährliche Stoffe zu beschaffen. Er flog auf.

Um eine Verärgerung Putins zu vermeiden, lässt FDP-BR Cassis den Diplomaten unbehelligt weiter wirken. Einen Entzug der Akkreditierung zieht er nicht in Betracht, in der Hoffnung, das Zeichen werde im Kreml positiv wahrgenommen.

Zum Wirken der grossen Zahl russischer Agenten mit Diplomatenstatus in unserem Land meint das EDA lapidar, es unterhalte regelmässige Kontakte mit der russischen Botschaft.

Die Agenten von FSB, Nachrichtendiensten und Militär in den russischen Botschaften und Konsulaten in der Schweiz sind Teil der hybriden Kriegführung Putins gegen Europa. Mit diplomatischen Diensten im Verhältnis Schweiz-Russland haben sie nichts zu tun.

FDP-BR Cassis will das nicht so sehen, was Putin und seinem Krieg dient.

Die Schweiz wird, seit sie EU-Sanktionen zustimmt, über den russischen Staatssender RT mit deutschsprachiger Propaganda und Fakes überflutet.

Putin setzt RT gezielt als Waffe ein, um die europäische Gesellschaft, auch die schweizerische, zu spalten.

Rechtsnationale Parteien wie die SVP erhalten auf RT besondere Aufmerksamkeit und Sympathie. Mit ihrer nationalistischen und autoritären Ideologie dienen sie dem russischen Diktator als Spaltpilz in Europa. Ungarn und die Slowakei sind Beispiele für den erreichten Stand der hybriden Kriegführung Putins.

RT lädt die europäischen Rechtsnationalen ein, ihre Ideologie über den Sender zu verbreiten.

So attackierte der SVP-Mann Fiechter auf RT im Sinne Putins die Bürgenstock-Konferenz.

Die EU hat schon 2022 festgestellt, dass Putin den Fakes-Sender RT als Instrument seiner hybriden Kriegsführung in Europa einsetzt.

Der Bundesrat weiss hingegen nichts von einer hybriden Kriegführung Putins. Er lehnt ein Verbot von RT ab und meint blauäugig, man müsse den russischen Fakes mit Fakten begegnen. In dieser Richtung tut er allerdings gar nichts.

Der Kreml wird diese Haltung dem bundesrätlichen Punktekonto gut schreiben.

Putins Freunde im Osten

Putin reist derweil am 19.06.24 mit Lawrow zum nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un, um ihn um Raketen für seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu bitten.

Die chinesischen Staatsmedien meinen dazu, Russland und Nordkorea seien enge Partner in der Ukrainekrise. Die Kooperation ermögliche Moskau «playing the long game» in der Ukraine.

In einem BBC-Interview stellt NATO-Generalsekretär Stoltenberg am 17.06.24 fest, dass China Russland im Ukrainekrieg mit Dual-Use-Gütern unterstützt.

Weil sich der Ukrainekrieg gegen das freie Europa richtet, wird der Westen Xi-Jinping eine Rechnung im europäisch-chinesischen Handel präsentieren.

Der Bundesrat geht einen gegenteiligen Weg.

Am 14.Januar 2024 hat er einen hochrangigen Vertreter des chinesischen Diktators, die Nummer 2 im Politbüro der kommunistischen Partei Chinas, in Bern empfangen und ihm einen Ausbau der schweizer Handelsbeziehungen mit China versprochen.

Ausserdem will der Bundesrat dafür sorgen, dass Chinesen schneller ein Schengen-Visum nach Europa erhalten.

Das Versprechen der SVP-BR Maurer und Parmelin vom 29. April 2019, mit öffentlichen Mitteln in der Schweiz eine europäische Plattform des Belt and Road-Netzes des chinesisches Diktators zu unterstützen, ist immer noch in Kraft.

Die militärisch wirksame Hilfe des Chinesen an seinen Partner Putin für dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine erachtet die aktuelle schweizer Regierung als irrelevant.

In seiner China-Strategie meint FDP-BR Cassis, die Schweiz gehe in den Beziehungen zu China einen eigenen Weg.

Xi-Jinping könnte Putin mit einem Telefonanruf zum Rückzug seiner Armee aus der Ukraine zwingen, weil der russische Diktator militärisch und ökonomisch von ihm abhängt.

Der chinesische Diktator wird das nicht tun, solange er im Westen Regierungen und Unternehmen findet, welche die Geschäfte mit China ausbauen.

Keine Solidarität mit dem Westen
im Kampf gegen den Aggressor

Solidarität mit den freien demokratischen westlichen Ländern im Kampf gegen den russischen Aggressor ist kein Thema im Bundeshaus, weder bei FDP-BR Cassis, noch beim Bundesrat.

Ohne den militärischen Schutz durch das westliche Bündnis, die EU und die NATO, wären die Schweizerinnen und Schweizer in realer Gefahr ihre Freiheit an die aufstrebenden Diktatoren zu verlieren.

Allein könnte die Schweiz nichts ausrichten, wenn Putin – wie gegen die Ukraine – Raketen auf den europäischen Stromknotenpunkt im Aargau oder das europäische Swift - Zahlungsverkehrzentrum im Thurgau abfeuern würde.

Für ihn wäre das kein Angriff auf die „neutrale“ Schweiz, sondern ein notwendiger Angriff auf zentrale Infrastrukturen Europas, um Europa in die Knie zu zwingen. Dasselbe Rezept wie in der Ukraine.

Der Schweiz hat Putin bereits mitgeteilt, dass er sie nicht als „neutral“ betrachtet. Gegenteilige Beteuerungen des Bundesrates und spitzfindige „neutralitätsrechtliche“ Diskussionen vor einheimischem Publikum helfen im Falle eines russischen Angriffs auf Europa nichts.

Realitätsbezogenen Überlegungen haben für die aktuelle Regierung und für den Aussenminister keine Priorität. Die angestrebte weltpolitische Rolle unter Einbezug der Diktatoren ist wichtiger.

Keine Solidarität mit dem freien Westen im Kampf gegen den Aggressor bleibt Regierungspolitik – zum Schaden des Landes.

Diktatoren dieses Planeten dürften das schweizer Aussenministerium durchaus als trojanisches Pferd im Westen schätzen. Zumal sich die Schweiz in Europa als Tummelplatz für ihre Oligarchen, ihr Geld und ihre Agenten eignet.

22.06.2024

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